Über uns

Der Forschungsverbund Frühe Neuzeit Südwest ist ein von Prof. Dr. Sandra Richter (Stuttgart), Prof. Dr. Jörg Robert (Tübingen) und Prof. Dr. Dirk Werle (Heidelberg) initiiertes zentrales Diskussionsforum für Forscherinnen und Forscher mit dem Arbeitsschwerpunkt auf der Literatur der Frühen Neuzeit in Baden-Württemberg. Er dient der wissenschaftlichen Vernetzung, der Erarbeitung gemeinsamer Forschungsprojekte sowie der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung und ihrer Koordination.

Die Hauptarbeitsform des Verbunds sind Arbeitstreffen, die jährlich an wechselnden Orten in Baden-Württemberg stattfinden. Das konstituierende Treffen fand im Herbst 2017 in Heidelberg statt. 2018 und 2019 wurden die Treffen in Tübingen ausgerichtet. Für 2021 ist ein Treffen des Forschungsverbunds in Freiburg geplant. Zentrale interne wie externe Kommunikationsplattform des Verbunds ist diese Homepage.

Die Frühe Neuzeit, also der Zeitraum zwischen 1500 und 1800, ist jene Makroepoche, die für die Geschichte der deutschen Literatur und die Genese der Moderne von zentraler Bedeutung ist. Es handelt sich um die Jahrhunderte, die das Scharnier zwischen Mittelalter und Moderne bilden. Am Anfang des Zeitraums stehen die Impulse durch Humanismus und Reformation, am Ende der Aufbruch in die Literaturmoderne im Zeichen von Aufklärung, Autonomieästhetik und Idealismus. Zwischen 1500 und 1800 entstehen etwa die modernen Konzeptionen der Lyrik, des fiktionalen Erzählens in Prosa sowie des Dramas. Entscheidende Entwicklungen in diesem Zusammenhang haben im deutschen Südwesten stattgefunden, der aufgrund seiner spezifischen Situation als Transferraum zwischen deutscher und romanischer Kultur sowie zwischen Katholizismus und protestantischen Konfessionen die Entstehung neuer literarischer Formen besonders begünstigt hat. Dies gilt allgemein schon für den Humanismus, der sich in Zentren wie Freiburg, Tübingen, Heidelberg oder auch Basel und Straßburg konstituiert. Dem Rottenburger Hof kommt eine Vorreiterrolle bei der Rezeption des italienischen Humanismus zu (Niklas von Wyle). Zentrale Formen der Literaturmoderne wie der deutschsprachige Roman lassen sich in einer Hauptentwicklungslinie als genuin südwestdeutsches Phänomen begreifen, das vom gelehrt-humoristischen, ausufernden, auf Übersetzungen fremdsprachiger Vorbilder beruhenden Schreiben des bedeutendsten Romanciers des 16. Jahrhunderts, Johann Fischarts, über Formen des utopischen Erzählens (Johann Valentin Andreae) sowie des satirischen Erzählens (Johann Michael Moscherosch) bis zum Œuvre des bedeutendsten Romanciers des 17. Jahrhunderts führt: Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens. In der Lyrik der Frühen Neuzeit gehen im südwestdeutschen Raum Autoren wie Georg Rudolf Weckherlin eigene Wege. Mit seiner Konzeption lyrischer Dichtung tritt er selbstbewusst der mitunter auch als usurpatorisch empfundenen Poesiereform Martin Opitz’ entgegen. Auch im 18. Jahrhundert besitzen regionale Konstellationen eine beträchtliche Prägekraft, die etwa die Entwicklung so bedeutender Dichter wie Friedrich Schiller und Friedrich Hölderlin konstituierten.

Die Erforschung der Literatur der Frühen Neuzeit im deutschen Kulturraum ist in der Forschungs- und Universitätslandschaft Baden-Württembergs institutionell vorzüglich verankert. Das ist keineswegs überall in Deutschland der Fall, im Gegenteil: Es handelt sich um einen wichtigen Standortfaktor und um ein Alleinstellungsmerkmal der Geisteswissenschaften im Südwesten. Die sich dadurch bietenden Möglichkeiten zu nutzen und durch intensivierte Vernetzung weiter auszubauen, ist Ziel des geplanten Forschungsverbunds. Dabei bietet es sich an, bei der Definition gemeinsamer Forschungsvorhaben von den skizzierten regionalspezifischen literaturhistorischen Besonderheiten auszugehen, deren vertiefte Erforschung vielfältige Möglichkeiten der Erschließung neuer Forschungsfelder bietet. Den personellen und institutionellen Kern des Verbunds bilden die mit der Erforschung der Frühen Neuzeit befassten neugermanistischen Lehr- und Forschungsbereiche der baden-württembergischen Universitäten. Die Integration von Kolleginnen und Kollegen der mediävistischen Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung sowie aus thematisch benachbarten Fächern, etwa der Klassischen und Neueren Philologien, der Geschichte, der Musik- und Kunstwissenschaft, und aus angrenzenden Bundesländern (Hessen, Bayern) wird ausdrücklich angestrebt, ebenso wie eine Zusammenarbeit mit lokalen Archiven, an erster Stelle mit der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg am Deutschen Literaturarchiv Marbach, mit literarischen Gesellschaften, vor allem mit der für die deutsche Literaturgeschichte der Frühen Neuzeit weltweit wichtigsten literarischen Gesellschaft, der eng mit den Gemeinden Oberkirch und Renchen verbundenen Grimmelshausen-Gesellschaft, und mit Bibliotheken, vor allem der Württembergischen Landesbibliothek.